Wissen in der Entwicklung und Konstruktion

Ein Produkt so vorzudenken und zu gestalten, dass es wie gewünscht funktioniert, ist schwierig! Oft gelingt es nicht oder erst nach erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwänden. Warum ist das so?

Für uns gibt es dafür zwei wesentliche Gründe:
1. Konstruieren lässt sich nur die Gestalt der Produkte, das funktionale Verhalten ergibt sich erst und kann nicht direkt konstruiert werden. Ohne Wissen zum Zusammenhang zwischen Merkmalen und Funktion ist zielgerichtetes Konstruieren unmöglich.

2. Produkte erfüllen ihre Funktion in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt. Diese Wechselwirkungen sind schwierig vorauszudenken und oft nur statistisch beschreibbar. Ohne Wissen über die Wechselwirkungen der Umgebungssysteme auf das zu entwickelnde System ist zielgerichtetes Konstruieren unmöglich.

Um diese beiden Schwierigkeiten zu überwinden, ist spezifisches Wissen zum System notwendig. Dieses Wissen bezeichnen wir als Konstruktionswissen.

Mit Entwicklungswissen und Konstruktionswissen zum innovativen Produkt

Dieses Konstruktionswissen kann in erfahrenen Teams zum Teil verfügbar sein, muss aber in weiten Teilen während der Entwicklung erarbeitet werden. Vor allem, wenn innovative Produkte entstehen, die „neue Wege“ gehen und neue Technologien nutzen, kann es dieses Wissen noch gar nicht geben. Die Herausforderung liegt darin, das notwendige Konstruktionswissen zu erarbeiten. Kompetente Ingenieurinnen und Ingenieure beherrschen diesen Aufbau von spezifischem Konstruktionswissen gut und im Laufe ihres Berufslebens immer besser. Das ist gut!

Schlecht ist, dass das zielgerichtete Vorgehen zum Aufbau von Konstruktionswissen weder in der Wissenschaft noch in den Unternehmen explizit beschrieben wird. Durch dieses Defizit kann das Vorgehen nur erfahrungsbasiert und langwierig gelernt werden. Und bei besonders herausfordernden Fragestellungen zum Konstruktionswissen fehlt es an Orientierungsmöglichkeit und Hilfestellung. Hierbei soll Sie dieses Buch unterstützen, indem es die methodische Entwicklung des Konstruktionswissens beschreibt.

Entwicklungswissen

Entwicklungswissen ist Wissen, das zur Entwicklung eines Produkts notwendig ist. Es kann Entwicklungsziele, Entwicklungsergebnisse oder den Zusammenhang zwischen Entwicklungszielen und -ergebnissen betreffen. Synthese ist die Aktivität in der Produktentwicklung, die Entwicklungsziele in Entwicklungsergebnisse überführt.

Wissen im Entwicklungsprozess

1. Wissen zu Entwicklungszielen befähigt zur Synthese bezüglich neuer Zielsetzungen.
2. Wissen zu Entwicklungsergebnissen befähigt dazu, den Reifegrad der entstandenen Ergebnisse zu beurteilen.
3. Wissen zum Zusammenhang zwischen Entwicklungszielen und -ergebnissen befähigt zur Synthese von zu den Zielen passenden Ergebnissen.

Konstruktionswissen

Konstruktionswissen ist Gestalt-Funktion-Zusammenhang-Wissen, welches die Merkmale der Gestalt und ihre Auswirkung auf das funktionale Verhalten zusammenführt. Dadurch befähigt es zur Entwicklung von Produkten mit gewünschtem funktionalen Verhalten. 

Analyse- und Synthese-Aktivitäten zum Aufbau von Konstruktionswissen 

Das funktionale Verhalten konkretisiert, wie die funktionalen Anforderungen durch „das, was das System tut “, erfüllt werden können. Funktionen können in der Regel durch mehrere mögliche funktionale Verhalten erfüllt werden. Das funktionale Verhalten eines Produkts entsteht durch seine Gestaltparameter und Wechselwirkungen mit seiner Umgebung.

Eine Gestalt beinhaltet die geometrischen und stofflichen Ausprägungen eines Produkts. Die Gestalt bestimmt das funktionale Verhalten des Produkts. Ziel der Gestaltung ist die Festlegung einer Gestalt, die ein funktionales Verhalten hervorruft, das die funktionalen Anforderungen erfüllt. Konstruierende legen die Gestalt in technischen Zeichnungen oder äquivalenten digitalen Gestaltmodellen fest, so dass die Fertigung in der Lage ist, die erdachte Gestalt herzustellen.

Das ist herausfordernd, da die Gestalt neben dem funktionalen Verhalten auch zusätzlich die Herstellbarkeit, Fertigungsverfahren, Herstellungskosten und Weiteres beeinflusst. Merkmale sind in der Produktentwicklung die direkt beeinflussbaren Parameter eines technischen Systems (Weber 2014). Sie können Einfluss auf das funktionale Verhalten eines Produkts haben. Für Konstruierende sind Merkmale die Stellgrößen für das funktionale Verhalten.

Das Konstruktionswissen beschreibt Gestalt-Funktion-Zusammenhänge und beinhaltet deshalb Elemente aus den Domänen der Gestalt und Funktion:

• Das in der Konstruktion festlegbare Merkmal der Produktgestalt, das an der Interaktion der Komponenten bei der Erfüllung des funktionalen Verhaltens beteiligt ist.

• Das damit zusammenhängende funktionale Verhalten, das mit der geforderten funktionalen Anforderung verglichen wird.

• Gegebenenfalls eine Erklärung für die Ursache des Zusammenhangs.

 

Aus einem vermuteten Zusammenhang von Gestalt und Funktion wird die Konstruktionshypothese abgeleitet, die neben dem Merkmal (Gestaltdomäne) und dem funktionalen Verhalten (Funktionsdomäne) auch eine Erklärung des Zusammenhangs
beinhaltet. Auf Basis dieser Konstruktionshypothese kann dann der Zusammenhang von funktionalem Verhalten und Merkmal der Gestalt quantifiziert werden.

 

Die Konstruktionshypothese enthält eine Korrelation zwischen der Ursache (Weil) und dem Gestalt-Funktion-Zusammenhang (Wenn-dann).

Konstruktionshypothese als Formulierungsmodell zum White-Box-Konstruktionswissen

 

Konstruktionshypothese am Beispiel des Multimaster:

Wenn der Winkel der Zahnflanke kleiner wird (Merkmal), dann funktioniert das Sägen besser (funktionales Verhalten), weil sich das Blech beim Sägen durch den flacheren Winkel nicht mehr so stark verhakt und zum Schwingen angeregt wird (vermutete Ursache).

Wissensaufbau durch Testing

Testing zum Konstruktionswissen ist ein essentieller Teil des Testing zum Aufbau von Entwicklungswissen. Dieses Testing geschieht durch Betrieb, Beobachtung und Bewertung eines Testing-Objekts in einer Testing- Umgebung, die Rückschlüsse auf die Zusammenhänge von Gestaltmerkmalen und funktionalem Verhalten zulässt.

Aufbau von Konstruktionswissen durch Testing

Testingaufwand reduzieren

Die ACH-Methode unterstützt das analytische Denken beim Falsifizieren von Hypothesen. Hierfür werden unterschiedliche Hypothesen und Indizien in einer Matrix gesammelt und gegenübergestellt, um anschließend in den Zellen der Matrix zu bewerten, wie konsistent Indizien und Hypothesen miteinander sind. Auf Basis dieser Matrix wird dann versucht, die Hypothesen zu falsifizieren. So können Hypothesen, die nicht falsifiziert werden, dann vorläufig akzeptiert werden.

Überblick zur Design-ACH

 

Konstruktionshypothesen durchdenken anhand des Beispiels des Multimasters: